Entwurzelt und
verwurzelt
Andreas Spiegl
freier Ausstellungskurator und Kunstkritiker und
arbeite als Vertragslehrer an der Akademie der bildenden Künste Wien.
1980 haben Gilles Deleuze und Félix Guattari unter dem Titel Mille
plateaux (Tausend Plateaus) ein Buch publiziert, das sich mit Kapitalismus
und Schizophrenie auseinandersetzt. Dieses Buch widmet seine Einleitung
einer pflanzlichen Erscheinung, dem Rhizom. Charakteristisch für
das Rhizom ist seine Differenz zur Wurzel, die irgendwo einen bestimmbaren
Ausgangspunkt bildet, aus dem sich dann Nebenwurzeln und Stämme herausbilden.
In diesem Sinne steht die Wurzel für ein Bild der Abstammung und
Verzweigung und damit für eine hierarchische Struktur. Das Rhizom
dagegen kennt keine Haupt- und Nebenwurzeln, jeder Punkt kann zum Ausgangspunkt
für mannigfaltige Verbindungen werden. Paradox am Rhizom, an diesem
Wurzelbüschel, erscheint, dass in dem Moment, in dem jeder Punkt
eine Wurzel schlagen kann, von einer Wurzel und Abstammung im strengen
Sinne nicht mehr gesprochen werden kann. An die Stelle des einen Zentrums
treten nur mehr Zentren, die damit eigentlich keine Zentren mehr sind,
sondern Knoten und Verbindungen. Dieser Gedanke einer rhizomatischen Struktur
charakterisiert die Auseinandersetzung von Deleuze und Guattari mit Kapitalismus
und Schizophrenie, d.h. mit zwei kulturellen Erscheinungen, deren Verknüpfung
immer noch Aktualität besitzt. Nun stellt sich die Frage, warum wir
hier auf dieses Buch zu sprechen kommen? Der Grund liegt in einer kontingenten
Verbindung, in einer rhizomatischen Verknotung: An die Stelle der tausend
Plateaus sind tausend Kirschbäume getreten, die Japan als symbolisches
Geschenk für das 1000-jährige Bestehen Österreichs demselbigen
vermacht hat. Weiters wurden Masahiro und Fumiyo Moriguchi, zwei in Japan
geborene und in Wien lebende Künstler, eingeladen, einen Teil des
Geschenks, neben einer ebenfalls gepflanzten Allee auf der Donauinsel,
für eine künstlerische Abzweigung zu verwenden.
In diesem Sinne hat dieses Projekt auch mit tausend Plateaus und mit Wurzeln
zu tun.
Für Deleuze und Guattari bilden aber gerade der Baum und seine Verwurzelung
ein problematisches Modell für eine kulturelle Vorstellung von Abstammung.
Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die einer Kommunikation über
die kulturellen Stammbäume hinweg das Wort redet, wird das Modell
des Baumes zum Problem. Solange ein Baum aus einer Kultur nur entwurzelt
wird, um als Zeichen seiner heterogenen Herkunft in den Kontext einer
anderen Kultur verpflanzt zu werden, bleibt dieser Baum ein Fremdkörper,
mit anderen Worten: Zeichen einer Diaspora. Das Kirschblütenfest
in Wien zu feiern, wäre bis dahin nur das Zitat einer Entfremdung.
Die Abzweigung der Moriguchis hat aber zwei Endpunkte: Kreuzt das eine
Ende die Allee, so trifft das andere auf ein Biotop, d.h. auf die Vorstellung
einer ortsspezifischen Natürlichkeit, die sich ihrerseits gegen fremde
und künstliche Einflüsse abzugrenzen sucht. Das Natürliche
wie das Künstliche sind aber Ausdruck eines Dualismus, der einer
Kommunikation und Annäherung grundsätzlich im Weg liegt. Diesem
Dualismus legen die Moriguchis ihrerseits Steine in den Weg,
platt formuliert: Steine des Anstoßes, die die Verbindung zwischen
den beiden Enden markieren. Die Tatsache, dass die Steine verankert
werden, ohne Wurzeln schlagen zu können, wiederholt in unserem Zusammenhang
nur den kulturellen Kontext, von dem eigentlich die Rede sein sollte und
dieser Kontext findet im Fluß und seiner grenzüberschreitenden
Bewegung sein deutlichstes Bild.